Ein Stück heile Welt bewahren – ja oder nein?

Wie viel Bullerbü passt nach Berlin?

Berlin und Bullerbü – beide Orte fangen mit B an. Wem noch weitere Gemeinsamkeiten einfallen, der gebe mir bitte Bescheid, denn meine Liste hört bei diesem einen Punkt schon auf. Wenn man also in Berlin wohnt und möchte, dass seine Kinder wie in Bullerbü aufwachsen, dann hat man ein Problem. Dessen wurde ich mir diese Woche wieder mal sehr bewusst.

Wir waren auf dem Weg nach Hause, die beiden Hauptstadtkinder mit einem weiteren kleinen Freund, und die drei unterhielten sich darüber, wie die Polizei Touristen fängt. Hätten Sie nicht bitteschön wie in Bullerbü Räuber und Gendarm spielen können? Denn ehe ich mich’s versah, hatte ich mich eingemischt und erklärt, wer Touristen sind und dass die Polizei stattdessen Terroristen fängt. So wurde ich folgerichtig und kurzerhand mit der Frage konfrontiert, was Terroristen sind. Ein Kind 3, ein Kind 4 und ein Kind 5 Jahre alt und ich völlig unvorbereitet. „Böse Menschen, die von der Polizei gefangen werden.“ „So böse wie Diebe?“ „Noch böser, Terroristen wollen manche Menschen auch umbringen. Aber bei uns gibt es die gar nicht.“ 

Haustür erreicht. Gespräch beendet. Die Kinder schon bei neuen Themen und ich noch voller Fragen. Ungefähr alle Suchmaschinenergebnisse zu „wie erkläre ich meinem Kind den Terror“ hätten wohl anderes empfohlen, aber die hatte ich leider nicht zur Hand.

Für meine Kinder sind die Gemeinen in der Welt Diebe. Diebe, die im Spätkauf gegenüber das Fenster eingeworfen haben und unseren Keller aufgebrochen haben. Die dann von der Polizei ins Gefängnis gesperrt werden, bis sie eines Tages ausbrechen. Abends im Bett haben die Kinder höchstens mal Angst vor Dinosauriern.

Wie sehr versuche ich eigentlich, die Kinder von dem wirklich Bösen dieser Welt fern zu halten? Und warum? Weil ich nichts kindgerecht erklären kann, für das es auch für Erwachsene häufig keine Worte gibt? Weil ich möchte, dass ihre Kindheit ohne all die Schreckensnachrichten der Welt ihnen erst mal ein Fundament gibt, dass sie später stärker für alles macht? Aber ist dem so? Weil ich feige bin? Weil es zu komplex ist? Weil ich es nicht ertragen kann, das Elend der Welt in ihre heile Welt zu lassen? Weil ich zu den unglaublich privilegierten Müttern gehöre, deren Kinder noch nicht einen Tag Hunger leiden mussten?

Friedenszeichen auf der Berliner Mauer | Kindheit im Berlin nach der Mauer
nicht Bullerbü und doch großes Glück: Berlin im Frieden

Für mich steht fest, alle Nachrichten brauchen die Kinder nicht mitzubekommen, vor allem nicht in Bewegtbildern zu sehen. Und dennoch wachsen sie in der Großstadt natürlich nicht in einer rosaroten Glitzerwelt auf. Vieles ist hier sichtbarer als auf dem Dorf. Aggression, Verzweiflung, Alkohol, Depression – fahrt einmal mit den Kindern abends in der Ubahn-Linie 8 und sie erleben alles mit. Und doch sind sie weitestgehend geschützt in ihrem Kokon, über den ich meine Hand noch halte. In dem ich sie abschirme, aber in dem ich ihnen auch nichts vorgaukele. Ein schmaler Grad.

Aber die Tage sind gezählt, an denen das so noch funktioniert. Tage, an denen ich mich mit einem „die gibt es hier gar nicht“ aus der Affäre ziehe, weil ich überrumpelt bin und möchte, dass die Kinder unbefangen bleiben. Der Hauptstadtsohn kommt im Herbst zur Schule und wird ganz andere Themen erleben und mitbringen als bisher, besser ist, ich fange an, mich vorzubereiten. Es ist ja ein wachsender Prozess für beide Seiten.

Neulich habe ich die veröffentlichen Tagebücher von Astrid Lindgren aus Kriegszeiten gelesen: „Die Menschheit hat den Verstand verloren.“ Und wenn ich mir vorstelle, wie sie in Stockholm in der großen Stadt saß, die Welt um sie herum in Hass, Krieg und Hunger versank und sie mittendrin für ihre Tochter Pippi Langstrumpf erfand, dann fühle ich mich bestärkt darin, unseren Kindern so viel Bullerbü wie möglich mit auf den Weg zu geben, sei es in der Stadt oder auf dem Land. Die heile Welt bröckelt noch schnell genug. Oder was meint Ihr?

Eure SvenjaWie viel Bullerbü passt nach Berlin?

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2 Gedanken zu „Ein Stück heile Welt bewahren – ja oder nein?“

  1. Die heile Welt ist das Stück Geborgenheit, das Du Deinen Kindern so wunderbar vermittelst; und egal, wieviel im Außen irgendwann bröckeln mag, auf diesem Deich werden sie immer sicher stehen!

    Sei weiterhin so mutig wie beschrieben!

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