Jetzt beginnt der Ernst des Lebens, so hören Schulanfänger oft zur Einschulung. Ein Satz, den wir tunlichst vermieden haben, denn so sollte es für unseren Sohn nicht sein. Lernen so lange wie möglich als etwas Spielerisches, etwas Tolles zu bewahren, das ist unser Ziel.
Und nun holt mich der Satz doch ein. Abends, beim Lichtausmachen und beim Zudecken ist er plötzlich mit im Raum, der Ernst des Lebens. Er hat nichts mit der Schule zu tun. Nicht damit, dass zu wenig Zeit zum Spielen bleibt. Der Ernst des Lebens zeigt sich darin, dass der Sechsjährige anfängt zu begreifen, dass es Mechanismen und Geschehnisse auf der Welt gibt, die außerhalb des geschützten Kinderlebens stehen. Und dass manche davon bedrohlich sind.
Das Schulkind kann nicht einschlafen, lange nicht und oft nicht. Im Gespräch kommt seine Angst zutage, die er als Angst vor Krieg benennt. Vor Schießereien. Vor dem, was für viele auf der Welt gerade furchtbarer Alltag ist und für uns zum großen Glück aber nicht.
Ich beruhige
Wie reagiert man auf eine solche Angst als Eltern? Ich gebe Sicherheit, eine stabile Sicherheit, die gut schlafen lässt und die doch keine zu trügerische sein soll. Ich sage nicht, es wird hier keinen Krieg geben, weil ich das nicht wirklich sagen kann. Genau wie ich nie sage, dass keiner von uns sterben wird, alles kann von heute auf morgen passieren, was soll ich den Kindern vormachen. Aber ich mache deutlich, dass im Moment alles gut und sicher ist, es so aussieht, dass es so bleibt. Dass wir auf ihn aufpassen, selbst im unwahrscheinlichsten Fall und dass die Ängste immer am stärksten sind, vor Dingen, die bisher nicht eingetroffen sind, denn bei eintreffenden Dingen kann man handeln. Wir gehen Freunde im Ausland durch, zu denen wir gehen können, wenn in Deutschland Krieg sein sollte. „Und wenn überall Krieg ist?“ Und dann erzähle ich von meiner Oma, die im Krieg gelebt hat und dass es immer weiter geht.
Ich erinnere mich
Sie ist mir unwahrscheinlich präsent, die Zeit, als ich so um die acht Jahre alt war und genau wie mein Sohn heute Angst vor Krieg hatte. Ich erinnere mich so genau. Wie ich ausgerechnet habe, wer wie alt ist und wer welche Wahrscheinlichkeit hat, einen Krieg zu erleben. Wie jung ich bei der Rechnung ausfiel und wie gering meine Wahrscheinlichkeit auf langen Frieden. Und nun versuche ich, daran anknüpfend zu sagen, was helfen kann. Und versuche, eine Kinderangst aus Erwachsenensicht zu verstehen, zu heilen.
Und wir beginnen zu reden
Der Ernst des Lebens steht im Raum und es ist keine Option mehr, ihn da stehen zu lassen, denn so macht er nur eines: Angst. Also hole ich ihn ab, hier und heute, das Reden beginnt (und der Hauptstadtmann weiß dass ich wahrlich geliebtere Themen als Poltik habe).
Das Weltgeschehen muss Teil unserers Alltags werden. Mit dieser Erkenntnis sehe ich erst, wie viel es zu bereden gibt. Wie gut das geht, schlicht, kindgerecht, unaufgeregt. Woher und warum zum Beispiel Mitschüler flüchten mussten. Habe ich diese Erklärung bisher echt der Schule überlassen? Warum ich nicht wollte, dass ein Mann amerikanischer Präsident wird, der verachtend über Frauen und Menschen mit anderer Religion spricht, versteht auch ein Sechsjähriger, ohne dass er weiß, was ein Präsident ist. Und so reden wir weiter, um Ängste und Nicht-Verstehen klein zu halten, um durch Ausblenden keine Dämonen zu schaffen, um zu zeigen, dass wir alle etwas tun und ändern können. Eine Armee aus Gummibärchen und die Welt in Kinderhände, Herr Grönemeyer, Sie wussten das schon lange. Und wir holen auf.
—
Beitragsfoto von pixabay.com
Sehr guter Beitrag. Es kann wahrhaftig auch sinnvoll sein, weniger Nachrichten zu konsumieren, vor allem da diese immer häufiger mit Fake News bestückt sind.