Ich weiß gar nicht genau, ob meine Oma ein Mensch war, der besonders viel gelacht hat. Aber ich erinnere mich daran, dass sie Tränen lachen konnte und ansteckend von Herzen lachen. Und so überrascht es mich auch nicht, dass ich mir zwar Witze eigentlich nicht merken kann, aber immer noch einen auswendig weiß, den mir meine Oma einst erzählte, zu Besuch bei uns zu Hause im Wohnzimmer. Ich schätze, ich war ein Grundschulkind.
Als Erwachsene wissen wir nicht, welche gemeinsamen Erlebnisse mit unseren Kindern oder Enkelkindern in Erinnerung bleiben werden. Wir denken an große Reisen, die Einschulung und an gemeinsame Rituale wie ein bestimmtes Gute-Nacht-Lied oder das klingende Glöckchen an Weihnachten. Aber die Erinnerung hält sich an keine besonderen Vorgaben. Sie bringt Dinge zum Vorschein, die vielleicht kaum Beachtung fanden damals. Als meine Oma mir einen Witz erzählte, zum Beispiel.
Zeitreise und Erinnerung
Für eine Zeitreise brauchen wir keine blinkende und rauchende Maschine, wie Daniel Düsentrieb sie uns zur Seite stellen würde, wäre die Welt ein Comicheft. Wir können die Augen schließen und reisen. In eine Zeit, in der ich selbst ein Kind war und in der meine Eltern jung waren und in der meine Oma am Leben war.
Von Milchreis und dem kleinen Prinzen
Eine Zeitreise zu meiner Oma beginnt in einer Zeit, in der ich selbst noch gar nicht auf der Welt war. Weil sie mir Geschichten erzählen konnte aus dunklen Zeiten, in die ich mit keiner Maschine der Welt reisen wollen würde. Diese Erzählungen sind so wichtig, weil sie uns unserer Verantwortung ermahnen, den Frieden zu bewahren.
Aber die nächsten Stopps der Zeitreise sind für mich die greifbarsten, weil ich sie mit allen Sinnen erleben durfte. Meine Oma kocht Milchreis mit Butterflocken in der alten Hamburger Küche oder schält Orangen zur Weihnachtszeit. Walnüsse aß sie am liebsten mit Marzipan, Brot mit Quark und Honig.
Ich erinnere mich daran, wie ich bei meiner Oma übernachtet habe, und zwar ich alleine. Den Streit von zwei Geschwisterkindern wollte sie nicht schlichten. Ich lag auf der Matratze vor der braunen Schrankwand und sie las mir den kleinen Prinzen vor, dessen Magie ich schlaftrunken noch nicht erfasste. Wohl aber sah ich, dass das Buch für sie besonders war.
Von Streit und vom Alter
Als ich ein Teenager war und meine Oma älter wurde, mussten wir uns neu finden. Die vielen Jahre zwischen uns wurden bedeutsam. Ich erinnere mich an einen großen Streit, als sie mich eines Tages von der Schule abholen wollte, um mir einen Regenschirm zu bringen. Ich jedoch fand Regenschirme so peinlich, dass wir beide verletzt durch das Unwetter nach Hause stiefelten. Ich mit nassen Haaren, sie trockenen Hauptes.
Ich erinnere, wie sie es liebte,“Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ im Fernsehen zu sehen, um mitzubekommen, wie die Jugend von heute so lebe. Nichts bekommst Du mit, außer dem Schein, dachte ich mir.
Und dann wurde ich selbst erwachsen.
Wertvolle Gemeinsamkeiten
Wenn ich mit der Zeitmaschine nur einen Moment mit meiner Oma nochmal erleben dürfte, ich würde jenen Tag wählen, als sie mich in meiner ersten eigenen Wohnung besuchte. Wie wir beide essen gingen, in dem kleinen Restaurant, in dem das Essen auf umgebauten Nähmaschinentischen serviert wurde. Wie wir beide uns über die Liebe unterhielten.
Aus dem irdischen Besitz meiner Oma habe ich mir das Fernglas ausgesucht, weil ich die Liebe zur Natur von ihr geerbt habe. Weil ich mich in ihr wiedererkenne, wie sie auf ihrem Großstadtbalkon die Sicht auf das Grün genossen hat. Und den Spaziergang um den nahen Kupferteich.
Vom Werden zur Erinnerung
Als der Anruf kam, den keine Zeit aufhalten kann, war ich gerade bei meiner Mutter und das war gut so. Weil wir drei auf besondere Weise verbunden sind. Kurz darauf zog ich nach Berlin. Und noch heute ist jeder Topf Milchreis eine Zeitreise für mich und wenn es die Ruhe des Tages zulässt, garniere ich meine Portion mit ein paar Butterflöckchen.
Eure Svenja
Mit diesem Beitrag beteilige ich mich an der #bloggenkunterbunt Blogparade „Zeitreise“ von Barbaras Paradies. Danke für die Inspiration!
Erinnerungen Großeltern/ Bilder pixabay.com